Jedes Glas Wein ist eines zu viel?

Kommentar der Deutschen Weinakademie zu den neuen DGE – Alkoholempfehlungen

Die Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) hat Mitte August 2024 ein Positionspapier („Alkohol – Zufuhr in Deutschland, gesundheitliche sowie soziale Folgen und Ableitung von Handlungsempfehlungen“) veröffentlicht, in dem den Bürgern vor jedem Glas Wein Angst gemacht wird. Im ersten Satz der Einleitung heißt es bereits: „Es gibt keine potenziell gesundheitsfördernde und sichere Alkoholmenge für einen risikofreien, unbedenklichen Konsum.“ Die DGE empfiehlt daher, komplett auf alkoholische Getränke zu verzichten: „Am besten null Promille. Denn „der Konsum alkoholischer Getränke ist ein führender Risikofaktor für eine Vielzahl von Erkrankungen und vorzeitigen Tod.“

Beobachtungsstudien liefern keine Kausalitäten

Während in einigen Passagen und Tabellen zwischen einer angeblich risikoarmem und einer risikoreichen Alkoholdosis konkret unterschieden wird, spricht die Zusammenfassung und die abschließende Empfehlung allein vom „Alkoholkonsum“ ohne den entscheidenden Einfluss der Dosis, des Alters, der körperlichen Voraussetzung, der Getränkeart oder das Trinkmuster zu erwähnen. Zudem stammt die Kategorie „risikoarm“ aus epidemiologischen Studien, die nicht nach all diesen wesentlichen Einflussfaktoren unterschieden haben.

Generell gilt: Die Empfehlungen sind aus reinen Beobachtungsstudien (Kohortenstudien) abgeleitet, die prinzipiell keine kausalen Zusammenhänge belegen können, sondern Korrelationen, also das statistische Zusammentreffen von Beobachtungen zeigen.

Darauf weist im Übrigen die DGE selbst in ihrem aktuellen Positionspapier hin: „Die Aussagekraft von Metaanalysen von Kohortenstudien zur Beziehung zwischen Alkoholkonsum und Gesamtmortalität ist durch methodische Schwierigkeiten stark limitiert … die Schätzungen des alkoholbedingten Sterberisikos variieren je nach Studiendesign zudem erheblich und sind somit schwierig zu interpretieren.“ Das gilt in gleicher Weise für das Risiko zu anderen Erkrankungen wie Krebs oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Kein Unterschied zwischen moderaten Weintrinkern und Abstinenzlern

In diesem Kontext sei erwähnt, dass die DGE interessanterweise eine aktuelle Metaanalyse zum Zusammenhang von Alkoholkonsum und Gesamtsterblichkeit zitiert (1), die ihrer Aussage, es gäbe keine „sichere risikofreie Dosis“ klar widerspricht. Die Ergebnisse zeigen keine statistisch signifikanten Unterschiede im Sterblichkeitsrisiko
zwischen Personen mit geringem (1,3 bis < 25 Gramm/Tag bzw. moderatem Alkoholkonsum (25 bis < 45 Gramm/Tag) und lebenslanger Abstinenz. Wer also wenig
bis moderat trinkt, lebt rein statistisch genauso lang wie lebenslange Abstinenzler. Bei Differenzierung nach Geschlecht ergab sich, dass bei Frauen kein erhöhtes Sterblichkeitsrisiko bis zu 25 Gramm/Tag und bei Männern auch noch bis zu 45 Gramm/Tag zu finden ist.


Ebenso wird beiläufig erwähnt, dass bei „einigen wenigen chronischen Krankheiten risikosenkende Assoziationen mit dem Alkoholkonsum beobachtet werden“. In Wahrheit gibt es dafür eine gute Evidenz. (2,3,4,5,6)

Als Beleg für wirtschaftsgesteuerte Forschung wird angeführt, dass bei der Vergleichsgruppe nicht zwischen lebenslangen Abstinenzler*innen und ehemaligen Alkoholtrinkenden unterschieden wird. Damit wären die sogenannten sick quitters einbezogen, also die Personen, die aufgrund gesundheitlicher Probleme den Alkoholkonsum eingestellt haben, was fälschlicherweise zu einer J-Kurve führe. Dies ist mittlerweile lange widerlegt und die aktuellen Studien unterscheiden durchaus zwischen lebenslang Abstinenten und ehemaligen Alkoholkranken, ohne dass die J-Kurve verschwindet.

Wein eingebunden in eine mediterrane Lebensweise

Die DGE ignoriert komplett die riesige Menge an Langzeitbeobachtungsstudien, die erhebliche Unterschiede in den Erkrankungsrisiken bei Differenzierung nach Getränkeart finden: Typischerweise weisen Weintrinker bei moderatem Genuss nicht nur signifikante Risikominderungen u.a. für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Typ-2-Diabetes aus, sondern sie finden auch bei dieser Dosis kein erhöhtes Krebsrisiko. Letzteres gilt insbesondere, wenn der Weinkonsum eingebunden ist in einer mediterranen Ernährungsweise und in ein ebensolches Trinkmuster (Wein moderat und immer nur zum Essen), was die diversen Krankheitsrisiken massiv mindert oder sogar verschwinden lässt (2,3,4,5,6).

Die DGE basiert ihre neuen Empfehlungen im Wesentlichen einerseits auf die Veröffentlichungen der „Globen Burden of Disease Study“ (7,8,9) und andererseits auf „Canada’s guidance on alcohol and health“ (10).

Bei der Globen Burden of Disease Study bestehen massive methodische Probleme, da sie Daten aus vielen sehr unterschiedlichen Kulturen kombiniert, um einen einzelnen Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum Konsum und Gesundheit modellhaft zu errechnen. Dabei werden die vielen Lebensstil- und kulturell bedingten Faktoren, die die Beziehung zwischen einer bestimmten Alkoholmenge zu Gesundheit und Krankheiten sehr stark beeinflussen, außer Acht gelassen. Zu diesen modifizierenden Faktoren gehören insbesondere der sozioökonomische Status des Einzelnen, die Umstände wie das Trinken mit oder ohne Essen, das Trinkmuster (regelmäßiger mäßiger Alkoholkonsum versus Binge drinking), die Art des Getränks (z. B. Wein versus Spirituosen), die Absicht der Person (Trinken, um sich zu betrinken, versus Trinken, um die Mahlzeiten zu ergänzen), das Ausmaß der körperlichen Aktivität, usw.
Da all diese modifizierenden Faktoren bei der ersten GBD-Studie nicht berücksichtigt wurden, kann die geschätzte Aufnahme einer Alkoholmenge (selbst wenn sie korrekt ist) nur eine unvollständige Bewertung der Auswirkungen von Alkohol auf die Gesundheit einer Bevölkerungsgruppe sein. Im Endeffekt gelten diese Daten und Empfehlungen der GBD-Studie für niemanden. Und ihre spezifische Aussage, dass ein Nullkonsum prinzipiell vorzuziehen wäre, wird durch übereinstimmende Berichte aus sehr großen, gut durchgeführten Kohortenstudien konterkariert. Diese zeigen, dass Nichttrinker ein höheres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes Typ 2 und der Gesamtsterblichkeit haben als regelmäßige moderate Konsumenten.

Interessanterweise wurden die Ergebnisse der zweiten GBD-Studie vier Jahre später (von demselben Forscherkreis) nicht berücksichtigt. Diese führte unter Einbeziehung von alters- und länderspezifischen Aspekten zu folgenden Schlussfolgerungen:

  • eine J-förmige expositionsgewichtete relative Risikobeziehung für alle über 40-Jährigen in allen Weltregionen.
  • Zusammenhang zwischen geringem/mäßigem Alkoholkonsum und besseren Ergebnissen bei Personen mit hohem Herz-Kreislauf-Risiko.

Damit erkennt die aktuelle GBD-Studie den Nettonutzen eines moderaten Alkoholkonsums in Abhängigkeit von Alter und kardiovaskulärem Risiko an und räumt sowohl mit dem Mythos „Gift in jeder Dosis“ als auch mit dem hegomonialen Abstinenzparadigma auf.

Interessenskonflikte überall

Zur „Canada’s guidance on alcohol and health“-Veröffentlichung, die entscheidend die DGE beeinflusst, ist anzumerken, dass diese ein Ausweis der Interessenskonflikte der Autoren beinhaltet. Dem ist zu entnehmen, dass dem Team der Autoren keinerlei Experten für kardiovaskuläre Erkrankungen oder Krebs oder andere relevante Todesursachen angehören. Vielmehr setzt sich das Autorenteam nahezu ausschließlich aus Experten zu Fragen der schädlichen Einflüsse von Alkoholkonsum zusammen. Mehrere Autoren werden sogar mit einem Interessenskonflikt für Movendi International ausgewiesen. Das ist eine internationale Gruppierung, die sich aus der Gruppe der „Guttempler“ entwickelt hat, welche seit 1851 als „Abstinenzorganisation“ gegründet wurde. Bis heute setzen sich die Guttempler für Enthaltsamkeit von Alkohol und bewusstseinverändernden Drogen ein. (10,11)

  • Dass die kanadische Leitlinie mit diesen massiven Interessenskonflikten nicht als neutral gelten darf, sondern angenommen werden muss, dass sie sehr einseitig negative Aspekte herausstellt und vorteilhafte Aspekte des moderaten Weinkonsums ignoriert, ist naheliegend.
  • Dass die DGE sich auf diese Publikation entscheidend stützt, lässt auch die Kompetenz und Neutralität der DGE in Frage stellen.